Mit Fake-Werbeplakaten gegen die Bundeswehr: Die Aktivisten, die Deutschlands Armee abschaffen wollen

2022-11-01 14:36:18 By : Ms. Sarah Liu

Warnweste an, Mehrkantschlüssel rein – 90 Sekunden später hängt das Poster mit dem Slogan „Bundeswehr abschaffen“. Die Behörden beißen sich die Zähne an den Adbustern aus.

Mit der orangefarbenen Weste, sagt Anton Weiler, verhalte es sich folgendermaßen: Sobald er sie überstreift, beachtet ihn niemand mehr. Kein Passant guckt. Keiner hinterfragt, was er dort eigentlich treibt. Das Kleidungsstück signalisiere, dass hier schon alles seine Richtigkeit habe – sonst würde der junge Mann doch wohl kaum so eine Weste tragen. Weiler nennt sie „meinen Unsichtbarkeitsmantel“.

Als Anton Weiler und sein Mitstreiter Hannes Pischke an einem Montag im September in Berlin-Kreuzberg nachmittags kurz vor halb vier zu Fuß auf die Reichenberger Straße einbiegen, haben sie ihre Westen bereits angezogen. Neben der Bushaltestelle, die sie heute ausgewählt haben, wartet ein Mann. Er stutzt nicht, als sie anfangen, sich an der Werbevitrine zu schaffen zu machen und den mitgebrachten Vierkantschlüssel auf der Unterseite des Rahmens ins Schloss stecken. Beim ersten Versuch passt er nicht, beim zweiten geht das Schloss direkt auf. Das Plakat, das in der Vitrine hängt, rollt Anton Weiler von unten nach oben auf, anschließend bringt er sein eigenes an.

Dann Kasten zu und Abmarsch. Rund 90 Sekunden hat es gedauert.

Sie sind schon um die nächste Straßenecke verschwunden, als der erste Passant das Plakat beäugt. Es ist in Tarnflecken gemustert, in großen Buchstaben steht darauf: „Diversität beginnt bei uns ganz weit rechts.“ Dazu das Logo der deutschen Armee und eine radikale Forderung: „Bundeswehr abschaffen.“

Anton Weiler und Hannes Pischke sind beide Anfang 20 und heißen eigentlich anders. Sie gehören zu einer Gruppe, die in Berlin kommerzielle Werbetafeln umdekoriert, um die Bundeswehr zu kritisieren. Die Berliner Polizei versucht seit Jahren, Aktivisten wie sie zur Strecke zu bringen. Der Staatsschutz des Landeskriminalamts ist ebenso involviert wie der Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst. Sogar das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern hat sich mit den Plakate-Austauschern befasst.

Die Jagd auf die Aktivisten ist einerseits eine Geschichte von Hausdurchsuchungen, wuchernden Aktenbergen und umstrittenen DNA-Untersuchungen. Von frustrierten Ermittlern, Fehleinschätzungen, juristischen Niederlagen und der Frage, wo die Grenze zwischen Ermittlungseifer und Ressourcenverschwendung verläuft.

Andererseits ist es die Geschichte junger Menschen, die glauben, die Bundesrepublik wäre ohne Armee ein besserer und sichererer Ort. Und die auch im Jahr 2022, trotz Putins Invasion in der Ukraine, unbeirrt an ihrer Idee festhalten. Wie kommen sie darauf?

In der deutschen Bevölkerung ist die Bundeswehr laut Umfragen beliebt. 83 Prozent der Bürger haben eine positive Einstellung zu ihrer Armee, für 78 Prozent verkörpert sie „zentrale Werte wie Freiheit oder Gerechtigkeit“, 55 Prozent empfinden gar „ein Gefühl der inneren Verbundenheit“. Diese Zahlen hat jüngst ein Institut der Bundeswehr erhoben. Gegenüber dem Vorjahr sind sie leicht gestiegen. Durch den Ukraine-Krieg habe die Bundeswehr zwar „eine gesteigerte öffentliche Wahrnehmung und kurzfristig auch ein erhöhtes Interesse“ erfahren, sagt eine Sprecherin dem Tagesspiegel. Auswirkungen auf die Bewerberzahlen gebe es jedoch nicht.

Eine halbe Stunde nachdem Anton Weiler und Hannes Pischke das Plakat in der Reichenberger Straße aufgehängt haben, sitzen sie in einem nahegelegenen Café. Die Westen sind wieder im Rucksack verstaut, die Anspannung ist verschwunden. Sie sind bereit, dem Tagesspiegel Einblicke in ihre Aktionen zu geben und über die Beweggründe und Risiken zu sprechen.

Auf dem Tisch hat Hannes Pischke fünf Werkzeuge ausgelegt, mit denen sie die Werbekästen öffnen. Welches sie einsetzen, hängt von Hersteller und Baujahr der Vitrine ab. „Am häufigsten“, sagt Pischke, „nutzen wir den hier.“ Ein Rohrsteckschlüssel Sechskant, auf der einen Seite acht, auf der anderen neun Millimeter Durchmesser. Es gibt ihn in jedem Baumarkt. Mit der Flex mussten sie dann noch kleine Schlitze ins Metall fräsen, die Anleitung dazu steht im Internet. Pischke sagt: Mit etwas Übung lasse sich jede Vitrine in Sekunden öffnen. Was auch daran liegt, dass es in Berlin nur zwei Unternehmen gibt, die Vitrinen bestücken. Jene an den Fern- und S-Bahnhöfen gehören Ströer, alle anderen der Firma Wall. Mehr als 1500 sind es insgesamt im Stadtgebiet.

Hannes Pischke sagt, er spreche mit Freunden und Bekannten offen darüber, was er heimlich in seiner Freizeit tue. Auch mit solchen, die eine andere politische Meinung haben. Damit sie nicht rätseln müssten, was los ist, falls er doch einmal geschnappt werde. „Damit die wissen, dass es am Ende nur um Poster geht.“

Anton Weiler sagt, er sei da ein wenig paranoider. Sein Vater hat Wehrdienst geleistet, in seiner Kindheit erzählte er ihm manchmal Geschichten „von einer guten Zeit, in der er angeblich zum Mann geworden ist“. Anton hat nie Sympathien für die Bundeswehr gehegt. Im Gegenteil. Als Jugendlicher bekam er in den Nachrichten die Skandale des Einsatzes in Afghanistan mit. Wie deutsche Soldaten Leichenteile schändeten. Wie ein Luftangriff bei Kundus mit vielen toten Zivilisten ohne rechtliche Folgen für die Verantwortlichen blieb.

Und immer wieder las Weiler, wie rechtsextreme Netzwerke und Chatgruppen in der Bundeswehr aufflogen. Wie sich der Offizier Franco A. als syrischer Flüchtling ausgab und eine Gewalttat plante. Wie sich Soldaten in der Gruppe „Nordkreuz“ auf einen Umsturz vorbereiteten. Wie rechtsextreme Umtriebe in der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte bekannt wurden. Weiler sagt: „Was mich besonders beeindruckte, war die gespielte Überraschung der Verantwortlichen bei jedem neuen Eklat. Als hätten sie wirklich gedacht, dass die Bundeswehr jetzt sauber sei.“

Den Wunsch, Protest zu äußern, habe er zum ersten Mal im Alter von 16 Jahren gespürt. Damals, im Spätherbst 2015, startete die Bundeswehr ihre nationale Imagekampagne „Mach, was wirklich zählt“. Wegen der vier Jahre zuvor beschlossenen Aussetzung der Wehrpflicht hatte die Armee Nachwuchsprobleme – und versuchte erstmals, nicht staatstragend, sondern modern und humorvoll junge Leute anzusprechen. Ihre Plakate zierten Sprüche wie „Wahre Stärke findest du nicht zwischen zwei Hanteln“ oder „Krisenherde löschst du nicht mit Abwarten und Teetrinken“. Auf einem Infoflyer beschrieb die Bundeswehr ihre Werbeslogans als „provokante Denkanstöße, um so die Bundeswehr als attraktiven und besonders sinnstiftenden Arbeitgeber in die Diskussion zu bringen“.

Anton Weiler sagt: „Mich störte, wie massiv sie versucht hat, den öffentlichen Raum für sich einzunehmen.“ Zusätzlich startete die Bundeswehr auf Youtube ihre Webserie „Die Rekruten“, in der junge Soldaten von freundlichen Ausbildern und schicken Flachbildfernsehern auf der Stube schwärmen. „Und obendrauf“, sagt Weiler, „kam dann noch einer an unsere Schule, der uns eine Karriere bei der Bundeswehr schmackhaft machen wollte.“

Oft schlagen die Aktivisten an mehreren Orten gleichzeitig zu. Wie neulich, an einem Donnerstagmorgen, als Weiler und Pischke durch Mitte zogen, während in anderen Kiezen weitere Zweierteams Plakate austauschten. An Dutzenden Bushaltestellen waren danach Soldaten zu sehen, die auf Postern zum Desertieren aufriefen.

Ein Standardplakat in den Werbevitrinen misst 118,5 mal 175 Zentimeter. Die der Aktivisten sind absichtlich auf beiden Seiten zwei Zentimeter kürzer. Damit es immer noch gut aussehe, falls sie wegen der Aufregung und des Adrenalins mit ihren zittrigen Händen das Plakat schief aufhängen. Man müsse halt die eigene Unfähigkeit einberechnen, sagen sie.

Wie viele Tage die Plakate in den Vitrinen bleiben, hängt vom Wochentag der Aktion ab, maximal sind es sechs. Denn immer dienstags schickt die Firma Wall ihre Mitarbeiter quer durch die Stadt, um sämtliche Kästen mit neuen Postern zu bestücken.

Die treibende Kraft bei der Jagd auf die Aktivisten sind Beamte des Fachkommissariats LKA 521 beim Staatsschutz, ihre Büros befinden sich am Tempelhofer Damm gegenüber dem alten Flughafengebäude. Ihre Arbeit ist anschaulich dokumentiert in Ermittlungsakten, die der Tagesspiegel einsehen konnte. Sie zeigen, mit welcher Hartnäckigkeit und Akribie die Staatsschützer seit Jahren versuchen, Täter zu stellen und Straftaten nachzuweisen.

Immer wieder geht es schief. Entweder weil die Beamten keine Personen ermitteln können. Oder weil Staatsanwaltschaft oder Gericht der Argumentation der Ermittler nicht folgen und die Tatvorwürfe verwerfen. Das führt dazu, dass die Beamten über die Jahre immer neue Straftatbestände annehmen. Vergeblich.

Da sind zum Beispiel die Plakate, die im April 2016 in der Otto-Braun-Straße in Friedrichshain auftauchen. Sie enthalten Slogans wie „Nazis essen heimlich Falafel“ oder „Wer kein Selbstbewusstsein hat, braucht Nationalbewusstsein“. In den Akten des Staatschutzes heißt es dazu: „Aufgrund der unverkennbaren Gleichartigkeit der Plakate, des identischen Modus Operandi sowie des engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs wurden die einzelnen Strafanzeigen in einem Sammelvorgang zusammengefasst.“

Im Zuge der Ermittlungen befragen die Beamten auch die Wall AG zu den Sicherungsmaßnahmen, mit denen die Firma ihre Schaukästen absichert. Der Wall-Vertreter erklärt den Polizisten, die Vitrinen ließen sich ganz einfach mit handelsüblichen Mehrkantschlüsseln öffnen. Außerdem entstehe den Werbekunden durch die Wegnahme eines Plakats kein tatsächlicher Schaden, da jedes Unternehmen von vornherein mehr Plakate produziere als Werbeflächen gebucht würden. Der Wert eines Posters liege bei etwa 30 Euro. Noch am selben Tag korrigieren die Ermittler ihren Tatvorwurf von „schwerem Diebstahl“ auf „einfachen Diebstahl“.

Die sichergestellten Plakate werden von Ermittlern einzeln verpackt und an das Kriminaltechnische Institut am Tempelhofer Damm geschickt. Dort sollen sie, so die Hoffnung des Staatschutzes, von Spezialisten auf DNA-Spuren untersucht werden. Doch innerhalb der Behörde kommt dies nicht gut an. Die Plakate seien schon deshalb als Spurenträger ungeeignet, weil die Kästen der Firma regelmäßig durch verschiedene Mitarbeiter bestückt werden. Angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe erscheine eine DNA-Untersuchung und -Auswertung „absolut unverhältnismäßig“, notiert ein Beamter.

Jahre später gibt es bei einem Verdächtigen in dem Fall eine Hausdurchsuchung. Es kommt zur Anklage, doch das Verfahren wird eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft vor Gericht nicht schlüssig darstellen kann, weshalb es sich um einen – nun doch wieder behaupteten – „besonders schweren Diebstahl“ handeln soll.

Eine Zueignungsabsicht kann nicht festgestellt werden.

Ein anderes Verfahren gegen eine Frau, die 2019 im Neuköllner Schillerkiez mutmaßlich ein umgestaltetes Bundeswehr-Plakat aufhängen wollte, wird wegen Geringfügigkeit eingestellt. Das Originalplakat hatte die Frage gestellt: „Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ Die Festgenommene hatte daraus gemacht: „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe.“

Spätestens seit Mai 2020 hat auch die Berliner Staatsanwaltschaft erkannt, dass der Tatvorwurf des Diebstahls schon deshalb nicht greift, weil Aktivisten das regulär hängende Plakat nicht etwa mitnehmen, sondern aufgerollt im Kasten zurücklassen. In einem Vermerk der Behörde heißt es: „Eine Zueignungsabsicht kann nicht festgestellt werden.“ Auch der Vorwurf der Sachbeschädigung scheide aus. Im konkreten Fall waren in Reinickendorf nachts Plakate in Werbevitrinen angebracht worden, die unter anderem den Slogan „Militär ist tödlich“ enthielten.

Wenn die Aktivisten umherziehen, ist manchmal ein Dritter dabei, der in einiger Entfernung Schmiere steht. Um dann hinterher, nachdem die Westenträger weitergezogen sind, das Ergebnis zu fotografieren. Einer, der diese Aufgabe häufig übernimmt, sagt, er werde bei seinen Einsätzen regelmäßig angesprochen und für einen Hausmeister gehalten. „Fremde geben mir Bescheid, dass dieser Aufzug schon wieder nicht funktioniert oder jene Sitzbank verdreckt ist. Ob ich mich nicht mal bitte darum kümmern könne.“

Die Plakateaufhänger, sagt er, müssten vor allem lernen, nicht wegzulaufen, wenn sie eine Polizeisirene hören oder einen Streifenwagen sehen. In Berlin geschehe beides so häufig, dass die Chance riesig sei, dass die Beamten wegen etwas ganz anderem unterwegs sind. „Erst durch das Weglaufen macht man sich verdächtig. Deshalb: immer ruhig bleiben.“

Die Firma Wall sieht die Fake-Plakatierer, so geht es aus Polizeiakten hervor, als massives und zunehmendes Problem, das sich auch negativ auf das Auftragsverhalten von Werbekunden auswirke. Keinesfalls handle es sich um Kavaliersdelikte. Das Unternehmen organisiere seit Jahren zusätzliche „Service-Fahrten“, um fremde Plakate zu entdecken und auszutauschen.

Auf Anfrage des Tagesspiegels, wie groß der erlittene Schaden für Wall in den vergangenen Jahren war, nennt das Unternehmen keine Zahlen, sondern spricht lediglich von „immer wieder auftretenden Einzelfällen, die am Ende vor allem einen hohen, unnötigen Mehraufwand im Hinblick auf den notwendigen Personal-, Material- und Fahrzeugeinsatz bedeuten sowie vor allem auch den Ausfall der bezahlten Werbezeit für unsere Kunden zur Folge haben“.

Aktivist Anton Weiler sagt, konkrete Kritik an der Bundeswehr sei in Deutschland leicht zu vermitteln. Ganz anders aber sei es bei der Forderung nach ihrer völligen Abschaffung, zumal in diesen Zeiten. Im engsten Familien- und Freundeskreis habe er schon emotionale Debatten geführt. „Ich verstehe, wenn Leute mir vorwerfen, ich sei naiv“, sagt Weiler. „Weil man die Bundeswehr doch brauche. Weil sie doch alternativlos erscheint.“

Weiler glaubt an das Konzept der sozialen Verteidigung. An die Idee einer Zivilgesellschaft, die sich im Ernstfall mit Aktivismus und gewaltfreiem Widerstand gegen Besatzer wehrt. Er sagt: „Besatzer haben nichts von Gebieten, wenn die Menschen sich konsequent widersetzen, Sabotage betreiben, die Arbeit verweigern.“

Wenn Weiler davon spricht, nennt er das „Utopie“. Aber eine, die man durchaus erreichen könne. Er sagt: „Ich mache mir jetzt keine Illusionen, dass die Leute mein Poster sehen, und schon können wir die Bundeswehr abschaffen. Ich möchte zum Nachdenken anregen.“

Dass Putins Invasion in der Ukraine zu Rufen nach einer Aufrüstung führen würde, sei ihnen klar gewesen, sagt Hannes Pischke. Mit welcher Selbstverständlichkeit die 100-Milliarden-Euro-Ankündigung von Olaf Scholz im Bundestag durchgewunken wurde, habe ihn dann aber schon überrascht: „Vor allem, dass sich niemand darüber wundert, dass dieses Geld nicht der Ukraine zugutekommt, sondern einfach in die Bundeswehr fließt.“

Wenn Menschen Vorwürfe gemacht werden, weil sie sich mit Gewalt gegen einen Angriff verteidigen, finde ich das schräg.

Mit der traditionellen Friedensbewegung in Deutschland können beide nicht viel anfangen. Dort agierten teilweise Russlandversteher, die Putins Invasion verklärten. Zudem würden Rechte nicht konsequent ausgegrenzt. Die beiden wollen auch nicht Pazifisten genannt werden. „Wenn Menschen Vorwürfe gemacht werden, weil sie sich mit Gewalt gegen einen Angriff verteidigen, finde ich das schräg“, sagt Weiler.

Und ja, natürlich sei es gerechtfertigt gewesen, dass die Alliierten Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg mit Gewalt niederrangen. Auch deshalb, weil ein großer Teil der deutschen Bevölkerung hinter dem NS-Regime stand. 

Ein paar Tage nachdem Anton Weiler und Hannes Pischke in Mitte unterwegs waren, verabredet sich Weiler nachmittags mit einem anderen Mitstreiter am Bahnhof Treptower Park. Heute wollen sie nicht gegen die Bundeswehr anplakatieren, sondern die Forderung verbreiten, Deserteuren aus Belarus in Deutschland Asyl zu gewähren, die zu Hause mit einem Einsatzbefehl gegen die Ukraine rechnen und deshalb flüchten.

„Stop the 2. Front!“, steht auf dem Poster. Weiler will es direkt an der Bushaltestelle vor der belarussischen Botschaft aufhängen, die am Rande des Parks liegt. Diesmal müssen die Plakatierer sich nicht nur vor der Polizei hüten, sondern auch damit rechnen, dass die Botschaft selbst über Sicherheitspersonal verfügt, das im Zweifel losprügelt. Die Anspannung, sagt Weiler, sei enorm. Sie streifen sich die orangefarbenen Westen über und machen sich ans Werk. Von der anderen Straßenseite schaut ein Mann herüber. Ein Spaziergänger? Ein getarnter Security?

Wieder brauchen die Aktivisten nur 90 Sekunden. Niemand schreitet ein. Sie machen ein Foto von ihrem Werk und schicken es befreundeten Aktivisten in Belarus.

Vor ein paar Jahren, sagt Anton Weiler beim Treffen in dem Kreuzberger Café, sei die Bundeswehr in der Öffentlichkeit zur Lachnummer verkommen. Berichte häuften sich, dass dieser Panzer nicht funktioniere und jenes Flugzeug nicht einsatzbereit sei. Dass das G36 bei hohen Temperaturen nicht geradeaus schießen könne. Die Versagertruppe als running gag. „So eine Kritik“, sagt Weiler, „finden wir fürchterlich.“ Denn sie fordere, dass die Bundeswehr endlich besser funktioniere, stärker werde und bessere Ausrüstung bekomme. Dass mehr Geld investiert werde. „Es ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen.“

Anton Weiler und Hannes Pischke glauben, dass die Werbekampagnen der Bundeswehr trotz aller Meldungen über Technikprobleme und mangelnde Einsatzfähigkeit in der Bevölkerung Wirkung gezeigt haben. „Es gab einen Normalisierungseffekt“, sagt Pischke. „Die wenigsten regen sich heute noch darüber auf, dass Bundeswehr-Werbung optisch so präsent in unserem Alltag ist.“ Hinzukomme, dass die Kampagne neben der Nachwuchsgewinnung noch einen weiteren Zweck verfolge, nämlich die Motivation der Mitarbeiter zu erhöhen. Oder wie die von der Bundeswehr beauftragte Werbeagentur es formuliert: „bei den Beschäftigten die Identifikation mit ihrem Arbeitgeber zu fördern“.

Pischke sagt, ihnen sei bewusst, dass ihre Versuche, mit kritischen Postern dagegenzuhalten, im Vergleich kümmerlich wirkten. Umso skandalöser sei es, mit welcher Härte die Sicherheitsbehörden gegen sie vorgingen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat das Umgestalten von Plakaten in ihrem Jahresbericht 2018 im Abschnitt „Gewaltorientierter Linksextremismus“ erörtert. Nach öffentlicher Verwunderung tauchte das Thema in den Berichten der Folgejahre nicht mehr auf.

Schon mindestens vier Mal hat sich das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern mit den Berliner Adbustern beschäftigt. Eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei, welche Plakatmotive so extremistisch gewesen seien, dass sie ein Fall für das Zentrum wurden, wollte das Bundesinnenministerium nicht beantworten. Die erbetenen Informationen, hieß es in der Antwort, berührten „schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen“.

Später kam raus: Drei der Plakate gingen auf eine Meldung des Berliner Verfassungsschutzes zurück – und waren alles andere als brisant. Ein Motiv etwa kritisierte die Rolle des Geheimdienstes bei der Aufarbeitung des NSU-Komplexes. Darauf stand: „Wie groß war der NSU wirklich? Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Welche Verantwortung trug institutioneller Rassismus?“

Der Berliner Rechtsanwalt Fadi El-Ghazi, der mehrere mutmaßliche Adbuster erfolgreich vor Gericht verteidigt hat, sagt am Telefon, bis heute habe es deutschlandweit keine einzige Verurteilung gegeben. In Hamburg hätten Ermittler versucht, Tatverdächtige wegen „fehlendem Impressums“ auf ihren Plakaten dranzukriegen. Auch dies erfolglos.

Er persönlich, sagt El-Ghazi, fände es interessant, wenn diese Verfahren nicht immer eingestellt, sondern einmal bis zu Ende verhandelt würden, um Klarheit zu bekommen.

Nach ihrem Scheitern mit den Vorwürfen „schwerer Diebstahl“ und „Sachbeschädigung“ haben es die Berliner Ermittler in den vergangenen Jahren mit alternativen Straftatbeständen versucht, um Plakatierer vor Gericht zu bringen. Zum Beispiel mit dem Vorwurf der „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“, bei dem laut Paragraph 109 des Strafgesetzbuches Menschen bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen, wenn sie unwahre Behauptungen aufstellen, die geeignet sind, die „Tätigkeit der Bundeswehr zu stören“. Das Verfahren wurde eingestellt.

In einem anderen Fall, im November 2021, gingen die Ermittler des LKA 521 von einer „Erschleichung von Leistungen“ nach Paragraph 265a Absatz 1 des Strafgesetzbuches aus. Auch hier wurden die Verfahren nach wenigen Wochen eingestellt, da „die Tathandlung ersichtlich keinen Straftatbestand erfüllte, insbesondere kein Erschleichen von Leistungen“, wie die Senatsverwaltung für Inneres mitteilte.

Auf Anfrage des Tagesspiegels, welche weiteren Straftatbestände nach dem Scheitern aller bisherigen Versuche künftig womöglich doch noch zu Verurteilungen führen könnten, erklärt die Berliner Polizei, dass zum Beispiel die Inhalte der Poster strafbar sein könnten: „Hierbei kommen diverse Tatbestände in Betracht.“ Denkbar seien etwa Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Verstöße gegen das Vereinsgesetz, Verunglimpfungen des Staates und seiner Symbole, aber auch Urheber- und Kunsturheberrechtsverletzungen… Diese Aufzählung, sagt ein Sprecher, sei nicht abschließend.

Anton Weiler und Hannes Pischke sehen das gelassen. Alle ihre Plakate seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Zu erkennen geben möchten sich die beiden trotzdem nicht. Sie glauben: Es ist nur eine zwischenzeitliche Ruhe. „In ein paar Jahren kommt eine neue Generation von Staatsanwälten“, sagt Weiler. Die brächten dann sicher neuen Ehrgeiz mit und versuchten es auf anderen Wegen.

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