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2022-11-01 14:36:18 By : Ms. Serena shi

„Dentist“ aus Sri Lanka kämpft freiwillig für die Ukraine, die Demokratie und die zivilisierte Welt

Dieses Gewehr fing am selben Tag zweimal russische Kugeln ab, schützte seinen Soldaten zweimal vor schlimmen Folgen.

Das Wunder des beschädigten Gewehrs verbreitete sich vergangene Woche per Video in den ukrainischen sozialen Netzwerken – BILD fand den Soldaten und die Geschichte dahinter.

Der Kämpfer, dessen Gewehr ihm wohl mehrmals das Leben rettete, ist kein Ukrainer, sondern ein früherer Kommandosoldat aus Sri Lanka. Bereits im Sommer traf BILD den Kämpfer, der sich hier „Dentist“ nennt: Nach der russischen Invasion hatte er sich der International Legion angeschlossen, einem Verband ausländischer Freiwilliger innerhalb der ukrainischen Armee.

„Dentist“ kam vom anderen Ende der Welt, um gegen Putins Schergen zu kämpfen. 

Die russische Invasion in die Ukraine entsetzt die Welt. Die Lage im Live-Ticker.

Während manche der Freiwilligen bereits in anderen Armeen gedient haben, verfügen andere über keine militärische Ausbildung.

„Dentist“, der in Sri Lanka mehrere Jahre als Mitglied einer Eliteeinheit gekämpft hatte, gründete mit einigen Mitstreitern vor einigen Wochen einen Spezialverband innerhalb der International Legion, wie er BILD erzählt. „Ich hatte gemerkt, dass es in der Legion einige sehr fähige Leute gibt, die auch für spezielle Aufgaben bereit sind, die die regulären ukrainischen Verbände nicht ausüben können.“

Das AK-47-Sturmgewehr von „Dentist“, das die Kugeln und Splitter aufhielt und ihn zum Helden machte

Mit einer Handvoll Kameraden gründet er die Special Service Group der Legion (LSSG), die als Spezialeinheit für Kommandoeinsätze gegen russische Stellungen eingesetzt werden soll. „Wir rekrutieren innerhalb der International Legion, führen mit Anwärtern vorher Tests durch. Wer besteht und geeignet ist, kann der LSSG beitreten.“ Viele seiner Kameraden hier dienten zuvor in anderen Spezialeinheiten, darunter bei den amerikanischen Marines oder im britischen SAS.

„Unsere Aufgabe ist meistens: Die feindlichen Linien überschreiten, eine Stellung ausschalten und zurückkehren“, sagt Dentist.

Vor einigen Tagen hatten sie wieder einen solchen Auftrag im umkämpften Osten des Landes. „Wir wollten eine russische Stellung sichern, damit die ukrainische Infanterie dort weiter vorrücken kann.“ Wegen des offenen Geländes habe man sich an einer Baumreihe entlang bewegen müssen, seine kleine Gruppe wurde von einem Scharfschützen entdeckt. „Unser Späher wurde vom Scharfschützen erwischt, ich eilte zu ihm, dann traf auch mich ein Schuss.“

„Dentist“ hat Glück: Die Kugel des Scharfschützen trifft den Handgriff seiner Waffe, der Soldat wird zu Boden geschleudert. „Ich untersuchte, ob ich blutete, aber da war nichts! Mein Kommandant kam dann zu mir, er dachte, ich sei getroffen.“

Ein Video von „Dentist“ im gefährlichen Einsatz an der Front verbreitete sich in den sozialen Medien

Gemeinsam bergen sie den Leichnam ihres getöteten Kameraden, bringen ihn zu einem gepanzerten BTR-Fahrzeug. „Dann bemerkten wir, dass sich ein russischer T-90-Panzer in der Nähe befand und zogen uns zurück.“

Kurz darauf kehrten die Soldaten mit weiterer Unterstützung zurück, bekämpften den T-90 mit Javelin-Panzerabwehrlenkwaffen. „Danach konnten wir weiter vorrücken“, sagt „Dentist“.

Wieder tastet sich der Kommandotrupp entlang der Baumreihe vor. „Unsere Artillerie hatte die Gegend inzwischen unter Feuer genommen, wir dachten, die russischen Stellungen wären neutralisiert.“ Doch die Schützengräben hier seien besser angelegt worden als zuvor.

„Wir gingen in Pfeilformation vorwärts, bis ich russische Essensrationen bemerkte.“ In der Nähe entdeckt Dentist im Graben einen Bunkereingang. „Als ich mich darauf zubewegte, schaute ein Mann aus dem Eingang heraus, ich konnte nicht erkennen, ob es ein russischer Soldat war, weil er eine schwarze Jacke trug, keine Uniform.“

„Dentist“ (am Bein verletzt) schildert BILD-Reporter Björn Stritzel, was er im Ukraine-Krieg erlebt hat

Dann sei alles ganz schnell gegangen: „Als er mich sah, zog er sich kurz in den Bunker zurück. Ich rief, er solle stehenbleiben.“ Augenblicke später taucht der Mann wieder auf – mit einer Dragunov, einem russischen Scharfschützengewehr. „Er feuerte sofort mit auf mich, ich fiel zu Boden.“

Seine Kameraden erwidern das Feuer, „Dentist“ kriecht mit schmerzendem Bein weg von dem Schützengraben. „Wir haben uns etwas entfernt gesammelt, ich konnte wieder aufstehen.“

Dann hören sie einen weiteren Schuss des Scharfschützen. „Ich sagte zu meinem Kommandanten: Er hat auf mich geschossen, ich muss diesen Schützengraben säubern.“

Gemeinsam rücken die Soldaten wieder vor, „Dentist“ wirft eine Handgranate in den Eingang. Schließlich finden sie den Leichnam des russischen Soldaten: „Wir untersuchten seine Dokumente, er war Scharfschütze der Luftlandetruppen.“ Er bewahre die Dokumente getöteter Gegner auf, sagt „Dentist“. „Die russische Armee kümmert sich nicht um ihre gefallenen Soldaten, sie lassen sie einfach liegen. Wenn der Krieg vorbei ist und ich noch lebe, werde ich die Dokumente einer russischen Botschaft übergeben. Die Eltern der Gefallenen haben ein Recht darauf zu erfahren, wo ihre Söhne geblieben sind.“

Dentist zeigt seine Shrapnell-Verletzungen am Bein

Was „Dentist“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: In seinem Bein steckt die Kugel des Scharfschützen. „Unser Sanitäter sah erst nur die Splitter in meinem Bein, sie stammten von meinem Gewehr.“ Doch als die Mediziner die Splitter entfernen wollen, bemerken sie, dass etwas nicht stimmt. „Sie wollten mich ins Feldlazarett schicken, ich protestierte, denn ich konnte noch laufen.“ Dort stellen die Ärzte fest, dass eine Kugel im Bein steckt – und schicken „Dentist“ zur Operation ins Militärkrankenhaus.

Sein erster Gedanke: „Jesus – ich hab so ein Glück gehabt!“ Hätte sein Gewehr die Kugel nicht abgebremst, hätte er wohl mindestens sein Bein verloren, sagt der Soldat.

Die zwei Treffer an diesem Tag waren nicht die ersten: Schon einige Tage zuvor habe sein Gewehr im Gefecht eine Kugel abbekommen und an seiner Weste vorbeigelenkt, er habe nur eine leichte Prellung bekommen. „Und dann hat mich mein Baby noch zweimal gerettet“, sagt „Dentist“ lachend. „In Sri Lanka sagt man, dass Gott dir drei Chancen gibt. Die habe ich jetzt aufgebraucht.“

Dennoch wolle er so schnell wie möglich an die Front zurück. „Meine Kameraden zählen auf mich, sie sind meine Familie.“ Noch würden die Ärzte ihn allerdings zurückhalten, um eine Infektion der Wunde zu verhindern.

Seiner Mutter in Sri Lanka habe er das Ausmaß der Verletzung verschwiegen. „Ich habe ihr nur die Splitterwunden im anderen Bein gezeigt, um sie zu beruhigen.“ Seine Mutter sei schon älter, verfolge keine Nachrichten im Internet, sondern nur im Fernsehen. „In Sri Lanka werden nur pro-russische Nachrichten gesendet, das Land ist moskau-freundlich.“

Warum kämpft er dann in der Ukraine? „Unser Ziel ist Demokratie“, sagt „Dentist“. „Die Ukraine ist ein souveräner Staat, der von einem anderen Staat überfallen wurde.“ Das Land habe zwar politische Probleme, aber jedes Recht, sich gegen die Invasoren zu verteidigen, die Unschuldige töteten. „Jeder sollte die Ukraine in diesem Kampf unterstützen“, sagt „Dentist“. „Wer Militärerfahrung hat, sollte herkommen und sich der Internationalen Legion anschließen.“

In seinem Land sind die Medien pro-russisch, so kriegt die Mutter von „Dentist“ (Foto aus dem Juli) kaum mit, was wirklich passiert

Auch Spenden für spezielle Winterkleidung würden benötigt, sagt „Dentist“. „Ich komme aus Südasien, das hier ist ein völlig anderes Klima für mich, ich muss meistens fünf Lagen Kleidung tragen, im Gefecht ist das hinderlich.“

In Sri Lanka hätten er und seine Kameraden bei den Kommandooperationen auch keine Schutzwesten oder Helme getragen, um mobiler zu sein. In der Ukraine habe er jetzt zumindest eine Weste getragen, sagt „Dentist“. „Es ist hier überwiegend ein Artilleriekrieg mit Splittermunition. Ich werde wohl künftig auch einen Helm tragen.“

Denn sobald die Ärzte und sein Kommandeur es erlauben, will er zurück an die Front – mit seinem Gewehr. Seine Kameraden haben es bereits gereinigt, die beschädigten Teile werden ersetzt. Dentist kann es kaum erwarten, seine Waffe wieder in den Händen zu halten. „Sie hat noch keinen Namen, aber sie ist mein Liebling. Und sie liebt mich offenbar auch, sonst hätte sie mich nicht dreimal gerettet.“