Unermüdlich rattert die Nähmaschine im Wohnzimmer von Irina Protchenko. 50 Jahre arbeitete sie in einer Fabrik am Kiewer Stadtrand und schneiderte Herrenanzüge und Mäntel für Marken wie Hugo Boss und Lacoste. Vor Kurzem verabschiedete sich die 68-Jährige vom Berufsleben in ihren wohlverdienten Ruhestand.
Nach der russischen Invasion ihres Heimatlandes aber begann sie mit ihren Kindern und Enkeln kugelsichere Westen und Sturmhauben für Ukrainer zu nähen. "Ich sollte Smokings für Hochzeiten nähen, keine kugelsicheren Westen", sagte sie gegenüber CNN. Bis zu zehn Schutzwesten stellt sie pro Tag her.
Protchenko ist stolz auf ihre Arbeit – und sieht jede fertige Weste als einen Sieg für die Ukraine. "Die größte Belohnung ist, wenn eine dieser Schutzwesten einem unserer Kämpfer das Leben rettet", sagt sie.
In der Küche der 68-Jährigen arbeitet ihr Schwiegersohn Evgeny an seiner eigenen Nähmaschine. Er fertigt täglich bis zu 200 Armbinden in den Farben der Nationalflagge an, welche ukrainische Sicherkräfte tragen, um sich gegenseitig zu erkennen.
Das alles geht auf eine Bitte von Vitaly Golovenko, einem anderen Schwiegersohn von Protchenko, zurück. Als der Patenonkel seines Sohnes an die Front ging und dafür keine kugelsichere Weste auftreiben konnte, wandte sich Golovenko an seine Schwiegermutter, um ihm beim Nähen solcher Schutzwesten zu helfen. Für eine echte kugelsichere Weste hatten sie zwar keine als Vorlage, fanden aber Videos und Bilder im Internet, nach denen sie selbst welche entwarfen.
Die von ihnen hierzu benötigten Materialien stammen alle aus Spenden. Auch andere Freiwillige unterstützen das Unterfangen. Ein ortsansäßiger Mechaniker etwa birgt Metallschrott aus alten Autos, welcher von einem Ingenieur zusammengeschweißt wird. Auf diese Weise entstehen die acht Millimeter dicken Platten, welche in die Schutzwesten eingenäht werden – und ihre Träger vor tödlichen Schüssen bewahren sollen.
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